Drohender Iran-Krieg – Offener Brief an die Vorsitzenden der SPD |
Veröffentlicht am: 1. Juli 2019 | 1
NachDenkSeiten - Drohender Iran-Krieg – Offener Brief an die Vorsitzenden der SPD |
Veröffentlicht am: 1. Juli 2019 | 1
Der deutsch-iranische Politikwissenschaftler Massarrat hat sich wegen der Kriegsgefahr im
mittleren Osten an die SPD-Spitze gewandt. Er tut dies offensichtlich in der Hoffnung, dass
sich die führenden Persönlichkeiten der SPD an eine gute Seite sozialdemokratischer
Tradition erinnern – sich für friedliche Lösungen von Konflikten und für bedrängte Völker
einzusetzen. Wir veröffentlichen seinen Brief. Albrecht Müller.
Prof. Dr. Mohssen Massarrat, Judith-Auer-Str. 2A, 10369 Berlin;
Tel: 030/91578121
An die SPD Vorsitzenden
Frau Malu Dreyer, Frau Manuela Schwesig, Herrn Thorsten Schäfer-Gümbel
Willy-Brandt-Haus, Wilhelmstr. 140, 10963 Berlin
Betr.: Drohender Iran-Krieg – Offener Brief an die Vorsitzenden der SPD
Sehr geehrte Damen und Herren,
Die Gefahr eines Krieges der USA gegen den Iran ist immer größer geworden. Spätestens
seit der US-Präsident am 21. Juni der Weltöffentlichkeit bekanntgab, dass er einen
Vergeltungsschlag anlässlich des Drohnenzwischenfalls in der Straße von Hormus zehn
Minuten vor dem Start gestoppt habe, müssen wir davon ausgehen, dass die USA einen
Krieg gegen den Iran nicht in Erwägung ziehen, sondern inzwischen sehr ernsthaft
vorbreitet haben.
Als ein deutsch-iranischer Politik- und Wirtschaftswissenschaftler möchte ich Sie, sehr
geehrte Damen und Herren, auf die offensichtlich zunehmende Gefahr eines neuen USKrieges
im Mittleren Osten und die verheerenden Folgen für die gesamte Region, für
Europa und die Welt aufmerksam machen und Sie eindringlich bitten, alles in Ihrer Macht
und Verantwortung Stehende zu tun, um den Krieg zu verhindern.
Sie wissen, sehr geehrte Damen und Herren, dass die US-Regierung das Völkerrecht außer
durch die Aufkündigung des Iran-Atomabkommens auch durch die Androhung eines
Angriffskrieges gegen den Iran massiv verletzt hat. Auch durch ihre umfassenden
Wirtschaftssanktionen gegen den Iran verletzen die USA das Völkerrecht, weil sie andere
Staaten dazu zwingen, ebenso das Völkerecht zu brechen, und weil sie zudem die iranische
Bevölkerung für die Durchsetzung ihrer politischen Ziele in Geiselhaft nehmen. Es ist
ohnehin ungeheuerlich, dass die gegenwärtige US-Regierung ein durch die
Vorgängerregierung in Kooperation mit der Weltgemeinschaft mühsam erzieltes Abkommen
mit dem Iran mutwillig in Frage stellt und ungeachtet von gravierenden Folgen gewillt ist,
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Veröffentlicht am: 1. Juli 2019 | 2
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einen Krieg vom Zaun zu brechen.
Leider nimmt bisher auch die Öffentlichkeit die verheerenden Folgen eines Iran-Krieges
kaum zur Kenntnis. Gestatten Sie mir daher bitte, Ihnen an dieser Stelle die
wahrscheinliche Abfolge von Ereignissen nach einem Angriff der US-Streitkräfte gegen den
Iran möglich realistisch vor Augen zu führen:
Die reguläre iranische Armee und vor allem die iranischen Revolutionsgarden werden
auf einen US-Bombenangriff auf iranische Atomanlagen und Militäreirichtungen aller
Wahrscheinlichkeit nach zu einem asymmetrischen Gegenangriff übergehen und nicht
nur die Straße von Hormus blockieren, sondern auch die Ölanlagen (Ölquellen,
Pipelines, Ölverladehafen) in Saudi Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten
zerstören, selbst wenn diese eben genannten Staaten zunächst aus taktischen Gründen
Zurückhaltung üben und sich am Krieg nicht beteiligen. Folgen für die Weltwirtschaft
durch eine globale Energieversorgungskrise wären sehr wahrscheinlich.
Wahrscheinlich wäre auch, dass die Revolutionsgarden gleichzeitig die US-Marine und
vor allem den Flugzeugträger Abraham Lincoln und die US-Militärbasen in Katar und
Bahrain angreifen und diesen erhebliche Schäden zufügen. Das wäre jedoch der
Beginn von gänzlich unkontrollierbaren Reaktionen der Kriegsparteien. Die USA
würden sich veranlasst sehen, im Iran sämtliche militärischen und zivilen
Versorgungseinrichtungen, wie Brücken, Kraftwerke, Wasserversorgungsanlagen,
Klärwerke u.v.a.m. flächendeckend – ausgehend von ihren zahlreichen Militärbasen
um Iran herum (in Katar, Bahrain, Pakistan, Afghanistan, Aserbaidschan und dem
Flugzeugträger im indischen Ozean) – zu bombardieren, um die Bevölkerung gegen die
Regierung aufzuwiegeln. Ein Gemetzel vor allem unter der Zivilbevölkerung dürfte
unvermeidbar sein, und Millionen Kriegsflüchtlinge aus dem Iran in Richtung Europa
wären unausweichlich.
Hochmotivierte und gut trainierte schiitische Milizen in Afghanistan, im Irak, in Syrien
würden die US-Soldaten und Militärbasen in der gesamten Region und nicht zuletzt
durch Selbstmordattentate zur Zielscheibe ihrer Angriffe machen und der US-Armee
schweren Schaden zufügen.
Man muss bei einer realistischen Betrachtung der Kriegsdynamik auch in Rechnung
stellen, dass die mit der Islamischen Republik engverbündete libanesische Hisbollah
im Falle eines US-Krieges gegen den Iran mit ihren aus Iran gelieferten
Kurzstreckenraketen Tel Aviv unter massiven Beschuss nimmt, selbst wenn Israel –
ebenfalls wie Saudi Arabien – zunächst aus taktischen Gründen Zurückhaltung üben
und sich am Krieg gegen Iran nicht beteiligen sollte. Dass ein in Bedrängnis geratenes
Israel dazu übergehen könnte, von seinem Atomarsenal gegen die schiitische
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Veröffentlicht am: 1. Juli 2019 | 3
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Bevölkerung im Libanon, aber auch gegen iranische Städte, Gebrauch zu machen,
dürfte nicht von der Hand zu weisen sein.
Alles in Allem würde die Welt mit einem wahren Flächenbrand in einer der instabilsten
Regionen und durch den Zerfall einer Reihe von Vielvölkerstaaten auf Jahrzehnte mit
zusätzlichen Instabilitäten konfrontiert werden, der den Staatszerfall im Irak, Libyen und
Syrien bei weitem in den Schatten stellt. Ein US-Krieg gegen den Iran würde so oder so eine
unvorstellbare Zahl menschlicher Opfer, eine Naturzerstörung rigorosen Ausmaßes und die
Zerstörung der Kulturgüter der antiken orientalischen Zivilisation und eine zusätzliche
Verschärfung des Klimawandels hervorbringen sowie die ökonomische Entwicklung und die
Demokratisierung in der gesamten Region auf sehr lange Zeiträume blockieren.
Es geht hier keineswegs um eine Dramatisierung der Kriegsfolgen – möge Gott uns alle
davor bewahren. Aber selbst wenn sich nur ein Teil dieses Szenarios bewahrheiten sollte,
dann wäre die Weltgemeinschaft, wären wir in Europa und Deutschland und Sie, sehr
geehrte Damen und Herren an der Spitze der deutschen Sozialdemokratie, also einer Partei
mit Regierungsverantwortung, m. E. verpflichtet, schon jetzt gegen den drohenden Iran-
Krieg zu intervenieren, bevor die Kriegsmaschinerie in Gang gesetzt wird und bevor es zu
spät sein könnte, eine neue Katastrophe zu verhindern. Die Bundesregierung und ganz
Deutschland hätte – als stärkste Wirtschaftsmacht der EU und angesichts der starken
Abhängigkeit der USA von ihren für den Iran-Krieg logistisch wichtigen
Militäreinrichtungen auf deutschem Boden – eine strategische Schlüsselfunktion, den
drohenden Iran-Krieg doch noch zu verhindern.
Daher müsste die Bundesregierung schon heute unmissverständlich öffentlich erklären,
dass sie sich weder direkt noch indirekt an einem US-Krieg gegen Iran beteiligen und
darüber hinaus auch den USA – gemäß dem eigenen Grundgesetz, das ein Angriffskrieg von
deutschem Boden aus verbietet – die Nutzung der US-Militäreinrichtungen für den Iran-
Krieg untersagen wird.
Gerade Sie, sehr geehrte Damen und Herren, hätten nicht nur aus moralischer und
friedenspolitischer Sicht eine hohe politische Verantwortung aber auch die historische
Chance, sich auf eine SPD als Friedenspartei zu besinnen und die Bundesregierung zu einer
klaren Antikriegsposition zu bewegen. Mir ist klar, dass Deutschland dann mit den Nato-
Verträgen und den bilateralen Abkommen in Konflikt geraten würde. Das eigene Handeln,
sich von diesen nicht zu leugnenden Konflikten leiten zu lassen, käme jedoch einer
politischen Denkblockade gleich, zumal die USA sich ganz offen und ohne jeden Skrupel
über das Völkerrecht stellen, wichtige diplomatische Errungenschaften wie das Iran-
Atomabkommen mutwillig in den Papierkorb werfen, auf die fundamentalen Interessen ihrer
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