Interview mit Massarrat über die steigende Kriegsgefahr im Nahen Osten
Mai 22, 2019 21:30 Europe/Berlin
"Ich glaube, dass die EU ihre Möglichkeiten, eine Antikriegspolitik gegenüber der USA zu machen, unterschätzt."
Auf Youtube: https://youtu.be/zEDy8FNqjcM
ParsToday: Herr Dr.
Massarrat, seit Monaten droht die aktuelle US-Regierung dem Iran mit dem
Krieg. Vor Kurzem verlegte sie die US-Flugzeugträger-Gruppe Abraham
Lincoln in die Gewässer des Persischen Golfs. Wie bedrohlich ist denn
die gegenwärtige Lage?
Massarrat: Meines
Erachtens muss man die Bedrohungslage sehr ernst nehmen. Das ist das
erste Mal, wo man wirklich Sorge haben muss, dass die Vereinigten
Staaten sich in Richtung einer gewaltsamen Auseinandersetzung mit Iran
bewegen, zumal die Treiber dieser Politik hinter den Kulissen bekannte
Personen wir John Bolton oder Mike Pompeo sind. Diese gehören zu den
Kreisen der - man kann offen sagen - Kriegstreiber. Sie sind vernetzt
mit dem Militärindustrie-Komplex und verfolgen ihre Ziele. Aus meiner
Sicht verfolgen sie das Ziel, im Mittleren Osten noch mehr Chaos zu
erreichen. Jenseits aller Begründungen gegenüber Iran geht es darum,
endlich mit Iran in einen Krieg einzuziehen. Sie nehmen auch keine
Rücksicht auf die Folgen eines solchen Krieges, der meines Erachtens
eine Katastrophe für die Region, aber auch für die Welt bedeute könnte.
Ich nehme diese Bedrohungen sehr ernst, weil dahinter unverbesserliche
Kräfte stehen, mit denen man rechnen muss. Die haben auch den Irak-Krieg
angezettelt. Sie stehen hinter vielen unvorstellbaren Aktionen der USA,
und man weiß nicht, inwiefern die US-Administration als Ganzes diese
Leute eindämmen und kontrollieren kann. Einmal hat die CIA zusammen mit
13 anderen Geheimdiensten einen solchen Vorstoß unter dem Präsidenten
Bush verhindert. Es kann auch sein, dass diesmal die Geheimdienste die
Notbremse ziehen, aber das wissen wir nicht.
ParsToday: Präsident Trump
kam aber an die Macht, um wie er sagte, die Kriege der USA weltweit zu
begrenzen, zu stoppen. Angesichts dieser Äußerung von Trump stellt sich
die Frage, wie groß ist denn die Macht von John Bolton und Mike Pompeo
innerhalb der aktuellen US-Regierung?
Massarat: Die Macht dieser
Personen ist immer größer geworden. John Bolton gehörte nicht zu der
ersten Liga der US-Administration. Mit seiner Ernennung zum Vorsitzenden
des Nationalen Sicherheitsrates der USA, und mit der Ernennung von Mike
Pompeo zum Außenminister kann man sagen, dass diese beiden und ihre
Hintermänner und Hinterfrauen großen Einfluss auf die US-Regierung
haben. Seitdem gibt es auch die Verschärfung des Konflikts der USA mit
Venezuela. Die Aufrüstung von Saudi-Arabien in den letzten Jahren
widerspricht im Grunde genommen, der Verbalen Absicht von Donald Trump,
die Kriege der USA zu begrenzen. Man versucht zwar direkt aus den
Konfliktregionen herauszugehen, aus Syrien zum Beispiel, aber
stattdessen versucht man Ersatzfelder durch Wettrüsten herbeizurufen,
und insofern ist dieser Aussage nur begrenzt Vertrauen zu schenken. Die
amerikanische Mittel- und Nahostpolitik ist leider insgesamt gesehen
eine Kriegspolitik. Und ich bin der Meinung, dass hier Deutschland,
Europa und andere verantwortliche Regierungen in der Welt diesen Prozess
so bewerten sollen, wie er ist und ohne Rücksicht auf bestimmte
Befindlichkeiten Klarstellung beziehen sollten.
ParsToday: Es ist bisher
immer so gewesen, dass wenn die USA einen Krieg irgendwo auf der Welt
anzetteln wollten, sich mit ihren europäischen Partnern berieten. Sehen
Sie überhaupt Anzeichen für eine solche Politik innerhalb der
Europäischen Union? Meinen Sie, dass die Europäer, wenn die USA in einen
Krieg mit dem Iran einsteigen, da auch mitmachen?
Massarrat: Es war in der
Tat immer so, dass die USA für große Kriegsprojekte versucht haben ihre
Verbündeten, insbesondere die EU-Staaten, auf ihre Seite zu ziehen. Das
versuchen sie auch heute. Die Selbsteinladung von Mike Pompeo zu der
Sitzung der EU-Außenminister in der letzten Woche war ein Versuch, die
EU ins Boot zu holen gegen Iran. Die EU-Außenminister haben ihre
Positionen dargestellt, aber ich glaube, dass die EU ihre Möglichkeiten,
eine Antikriegspolitik gegenüber den USA zu machen, unterschätzt. Ich
glaube, dass hier die EU-Staaten, an der Spitze die deutsche
Bundesregierung, klar erklären müssen, dass sie sich unter keinen
Umständen an einem Krieg gegen Iran beteiligen werden. Die
Bundesregierung müsste meines Erachtens auch darüber hinaus gehen und
jetzt schon erklären, dass sie der US-Regierung untersagen wird, ihre
Militäreinrichtung auf deutschem Boden für einen solchen Krieg zu
nutzen. Hier in Deutschland, in Ramstein und Stuttgart, sind wichtige
Militäreinrichtungen, die bei den letzten Mittel-Ost-Kriegen eine sehr
wichtige Drehscheibenfunktion hatten. Die deutsche Bundesregierung
müsste meiner Meinung nach auch die Überflugsrechte außer Kraft setzen
und dies auch bekannt geben, für den Fall, dass die USA mit einem Krieg
beginnt. Das sind die Möglichkeiten, die Deutschland und die EU haben
von vorne herein in die Waagschale zu bringen. Damit unterstützen die
EU-Staaten die Kräfte in den USA, die im Grunde genommen auch kriegsmüde
sind und insgesamt politisch einen neuen Krieg für falsch halten. Die
EU-Staaten unterschätzen ihre Möglichkeiten der Einflussname auf die
innenpolitische Legitimierung eines solchen Krieges. Deswegen plädiere
ich dafür, dass die Bundesregierung und die EU schon jetzt Klarheit
schaffen, damit dieser Kriegszug, der in Gang gesetzt worden ist,
rechtzeitig gestoppt werden kann.
ParsToday: Herr Dr.
Massarrat, das, was Sie gerade gesagt haben, hatte der
Bundesaußenminister Maas nach seinem kurzen Gespräch mit seinem
amerikanischen Amtskollegen Pompeo unterstrichen. Er warnte die USA
davor, einen Krieg mit dem Iran zu riskieren. Er hat Pompeo noch einmal
deutlich gemacht, dass Deutschland keine militärische Eskalation haben
wolle, sagte Maas nach diesem Gespräch. Wie wichtig finden Sie diese
Äußerungen des deutschen Bundesaußenministers?
Massarrat: Ja, es ist
selbstverständlich, dass eine solche Äußerung, nachdem jeder weiß, dass
es die USA sind, die sich von dem Atomabkommen verabschiedet haben, dass
es die USA sind, die die völkerrechtswidrigen Sanktionen gegen Iran
verschärft haben ... das zu sagen, ist das Allermindeste. Das ist
insofern auch ein richtiger Schritt auch in die richtige Richtung. Aber
ich meine, dass das nicht ausreicht. Deutschland und die EU haben
wesentlich mehr zu sagen, als sie glauben. Sie können natürlich direkt
keinen Einfluss nehmen. Aber sie können durch die Untersagung der
Nutzung ihrer Militäreinrichtungen ... und das ist kein kleiner Schritt,
das wäre sogar ein entscheidender kriegsverhindernder Schritt ... durch
die Untersagung dieser Möglichkeiten, die sie als legitime Regierung
erklären können. Sie sind sogar gezwungen die Interessen Deutschlands
und Europas im Auge zu behalten. Sie sind gegenüber der Verfassung
verpflichtet, Angriffskriege abzulehnen und sich weder direkt noch
indirekt daran zu beteiligen. Also insofern haben sie auch eine
verfassungspolitische Verpflichtung, deutlich zu werden und den
amerikanischen Bündnispartnern klar zu signalisieren, dass sie ihre
Möglichkeiten für eine Kriegsverhinderung nutzen.
ParsToday: Herr Dr.
Massarrat, Iran versucht seit dem Austritt der USA aus dem Atomabkommen,
die Europäer davon zu überzeugen, an diesem Abkommen zu festhalten. Es
ist dem Iran allerdings noch nicht gelungen, denn wir sehen, dass hier
keine praktischen Schritte seitens der europäischen Länder unternommen
werden. Was wäre Ihr Vorschlag dazu? Wie können die Europäer und Iran
überhaupt zusammenarbeiten, um eine solche Kriegsgefahr abzuwenden?
Massarrat: Richtig ist,
dass die europäischen Bündnispartner der USA ökonomisch wenig
Möglichkeiten haben, die Sanktionen zu verhindern. Die Macht des Dollars
als Weltwährung ist zu stark. Dazu haben die USA nicht zuletzt auch die
Macht des Öl-Handels mit Dollar in ihrer Gesamtstrategie eingebaut.
Dazu gehören auch leider die Öl-Kriege, die die USA führen, um diese
Macht des Dollars aufrecht zu erhalten. Nun können die Europäer, die
jahrelang diese Machtfunktion des Dollars unterschätzt haben, sehen,
dass sie konfrontiert sind mit einem ganz starken ökonomischen Hebel,
den die USA nutzen und dies auch gegen sämtliche völkerrechtliche Regeln
nutzen. Dennoch haben die deutsche Bundesregierung und die
EU-Außenminister insgesamt politisch längst nicht ihre Möglichkeiten
genutzt, gegen die Sanktionen vorzugehen. Also ich denke z.B. an eine
gemeinsame Klage vor dem internationalen Gerichtshof, eine Klage gegen
die völkerrechtswidrigen Sanktionen der USA. Das ist eindeutig, dass die
USA weit über die ökonomischen Möglichkeiten hinaus, das Völkerrecht
verletzen, indem sie andere Staaten auffordern, ebenfalls das
Völkerrecht zu verletzen, und ein Land mit ökonomischen Sanktionen zu
versehen, weil sie über einen wichtigen ökonomischen Hebel, wie den
Dollar verfügen. Das ist im Völkerrecht nirgendwo festgeschrieben, dass
Supermächte und Weltwährungsmächte ihre Macht nutzen können. Das ist
gegen das Völkerrecht. Also, die EU-Staaten, die erpresst werden,
gezwungen werden, auch das Völkerrecht zu verletzen, können dagegen
klagen. In dieser Richtung passiert aber nichts. Das wäre auch meines
Erachtens ein Signal, dass die Europäer setzen können.
ParsToday: Aber aus der
Erfahrung heraus kann man sagen, dass diese Urteile, wenn sie überhaupt
gefällt werden, von der US-Regierung ignoriert werden. Das haben wir
bereits einige Male erlebt.
Massarat: Ja das ist
richtig. Die USA ignorieren diese Urteile und begehen auf diese Weise
noch einmal eine inakzeptable Völkerrechtsverletzung. Dennoch kann man
nicht schweigen. Wenn man dagegen schweigt, wenn andere Staaten nichts
unternehmen, wird diese Form von Völkerrechtverletzung zur Normalität.
Und dann würde ein solches Verhalten nicht nur gegenüber Iran an den Tag
gelegt, sondern auch gegen andere Staaten, letztlich auch gegen
einzelne EU-Staaten. Schon aus Eigeninteresse und wegen der
Glaubwürdigkeit der UNO und des Völkerrechts müssen die EU-Staaten trotz
Ignoranz der US-Regierung hier intervenieren.
ParsToday: Herr Dr.
Massarrat, kommen wir zum Schluss. Wie schätzen Sie nun angesichts
dessen, was Sie gerade ausgeführt haben, die Kriegsgefahr am Persischen
Golf, ein?
Massarat: Die Kriegsgefahr
ist potentiell gegeben. Man weiß nicht, welche Provokationen noch im
Spiel stehen. Die US-Regierung erhöht permanent den Druck. Und man weiß
auch nicht, wie es dem Iran möglich ist, mögliche Gegenreaktionen
wirklich zu kontrollieren und zu unterbinden. Ein falscher Schritt von
einer der beiden Seiten kann einen Krieg zündeln. Ich denke, es ist im
Interesse der Weltöffentlichkeit, im Interesse der Region und im
Interesse von Europa, immer wieder beide Seiten zu warnen, vor allem die
US-Regierung zu warnen, weil es die US-Kriegstreiber sind, die ich in
Richtung eines Kriegs fortbewegen. Iran reagiert bis jetzt. Man weiß
aber nicht, wie lange noch.
ParsToday: Vielen Dank, Herr Dr. Massarrat, für dieses Gespräch!
Massarrat: Vielen Dank auch!
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Das Interview wurde geführt von: Seyed-Hedayatollah Shahrokny
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